
War’s das wert? Resümee einer Fährreise.
Juni 2024 und die Frage „wo soll es in den Sommerferien hin gehen?“ Baltikum. Klingt spannend. Klingt nach Einsamkeit, Ruhe und kühlen Nächten. Hat sich alles so erfüllt.
Aber wie dahin kommen? Nürnberg – Riga Knapp 2000 km bzw. Vier Tage fahren. Einfach. Und wir wollen noch weiter nach Norden. Also kommt bloß die Alternative mit der Fähre infrage. Vorteile: entspannte Überfahrt, man spart sich schon eine Nacht und mehrere Mahlzeiten. Nachteile: um die 1000 €, je nach gebuchten Features, hin und zurück für den Karl plus Besatzung. Und 22 Stunden Käfig-Haltung.
Okay, probieren wir aus.
Buchung online ein Kinderspiel. Kunden-Service nach der Buchung vorbildlich. Check-in in Travemünde herrlich einfach: Kennzeichen-Scan am Terminal, kurz die Ausweis-Dokumente aus dem Fenster halten, in die Schlage stellen und warten, bis man auf eines der Auto-Decks auf der Fähre gelotst wird. Insgesamt gut eine Stunde. Jeder packt nach dem Parken im Bauch der Fähre seine Habseligkeiten und bezieht die Kabine. Okay, reichlich beengt, was zu erwarten war. Aber das Wetter ist toll, wir gehen an Deck und wollen uns das Ablegemanöver zum Sundowner anschauen.
An Deck gibt’s sogar Liegen. Natürlich zu wenig für alle Passagiere. Aber wir haben Glück.
Das Abendessen gleich eher einem Mast-Vorgang: mindestens 30 Minuten anstehen, Kellen voll von nicht vollständig definierbarem Nahrungsangebot auf Tabletts mit Tellern laden – das Veggie-Angebot beschränkt sich auf Beilagen und eine Gemüselasagne – und im Akkord essen, damit die nachrückenden Massen auch noch eine Chance haben, während der 90 Minuten Öffnungszeit der Kantine. Bissl unromantisch, das ganze Procedere. Der gleiche Vorgang beim Frühstück und Mittagessen. Letzteres haben wir nicht gebucht und auf der Rückreise bis aufs Frühstück ganz verzichtet.
WLAN? Vorhanden aber nicht zu gebrauchen. Mobiles Internet manchmal in Küstennähe an Deck. Immerhin das ein oder andere deutsche Programm im Fernseher in der Kabine.
Die Stunden ziehen sich.
Endlich Land in Sicht. Ungeduldig warten alle um in die Fahrzeuge zu kommen und noch ungeduldiger wird es bei der Ausfahrt. Menschen sind so.
Wir haben damit gerechnet, dass die Rückfahrt genauso vonstatten geht. Tut sie auch bis jetzt. Bis auf die Sache mit dem Check-in: man fährt im Hafen-Gebiet auf einen viel zu kleinen Parkplatz, der natürlich innerhalb kürzester Zeit völlig überfüllt ist. Irgendwann checkt auch der letzte, dass man in das Hafen-Gebäude rein muss zum Check-in. Dort steht ein Schild: „Nummer ziehen“ und man ahnt, was einem bevorsteht.
Wir hatten Glück, waren zeitig dran weil uns unser Ausflug in den Sandkasten die Tour durch Liepaja unmöglich gemacht hat. Dafür haben wir halt nach dem Check-in warten dürfen. 60 Minuten bis wir zur Schlage fürs Boarding gelassen wurden. Nochmal knapp eine Stunde, bis zum Boarding und dann Fahrzeug für Fahrzeug … natürlich wartet man mit den Campern bis zum Schluss weil ja noch Nachzügler-Pkw im Check-in warten. Beim Boarding und die Einweisung auf dem Schiff: alles analog per Funkgerät. Jetzt wissen wir auch, warum der Check-in bereits drei Stunden vor Abfahrt geöffnet ist.
Die Rückfahrt im weiteren Verlauf wie erwartet ereignislos.
Resümee also? Es kommt drauf an. Nürnberg – Travemünde 600 km. Nürnberg – Liepaja 1600 km. In Summe also hin und zurück 2000 km mehr durch Polen. Von der Zeit her gibt es sich wenig wenn man Kilometer fräsen möchte. Wir bevorzugen jedoch weniger Strecke am Tag, das kostet dann Zeit. Aber ob es das Geld und die Tortur der Käfighaltung wert ist? Muss jeder für sich entscheiden.
Wir haben uns übrigens noch gewundert, warum relativ viele Niederländer, Franzosen und vor allem Norddeutsche auf der Fähre sind. Die haben ja „nur“ das bisschen Deutschland und Polen bis zum Baltikum und müssen nicht wie wir noch ein paar hundert Kilometer nach Norden. Stimmt. Aber auf dem Landweg sind es von Travemünde bis Liepaja, um die russische Exklave Kaliningrad drumrum auch um die 1600 km. Und das lohnt sich dann wirklich.
Was uns noch aufgefallen ist: super-hippe Funktionskleidungs-Familien. Solche Leute verbringen die Nacht gern in Schlafsäcken an Deck oder schleppen ein vollständiges Tupperdosen-Set zum Buffet. Man erkennt solche Familien daran, dass die Kinder alles dürfen – außer still sitzen. Aber gut, wo sollen sie es her haben.
Insgesamt sind viele Menschen auf begrenztem Raum für so lange Zeit für uns immer problematisch. Menschen sind schwierig.
In ein paar Stunden dürfen wir von Bord. Dann noch eine kurze Fahrt zum vorsichtshalber vorher reservierten Platz. Ob wir da unseren Bewegungsdrang ausleben können?