
Cross road
Manchmal überlegt man ja lange, bis man zu einem Beitrag die richtige Überschrift findet. Manchmal muss man auch erst den Beitrag schreiben und dann nochmal überlegen. Und selten, ganz selten nur passiert es, dass einem zu viele Headlines für einen Tag oder Beitrag ereilen.
Heute ist so ein Tag.
Eigentlich hätte es heute lauten können: „Apple each day …“, weil wir unsere einzige Nacht in Litauen auf einer alten Apfel-Farm verbracht haben. Ein lustiger Ort. Der Betreiber weiß schlicht nicht, wohin mit dem ganzen Fallobst und hat die Möglichkeit des Bierbrauens und der Cidre-Herstellung für sich entdeckt um die Produkte an seine Gäste auszuschenken. Leider jedoch scheint er selbst sein liebster Gast zu sein. Abends tritt er dann mit rotem Kopf in historischer Polizei-Uniform auf und grölt dabei sicher nicht die ganz politisch korrekten Lieder. Das Bier war nicht so schlecht. Hab allerdings sicherheitshalber erstmal mit lokalem Wodka desinfiziert. Aus rein medizinischen Gründen, natürlich. Und ich weiß, warum. Schließlich war ich in seinem Keller, wo er Bier und Cidre herstellt. Zweifelhafte hygienische Zustände. Hab’s überlebt. Dem Wodka sei dank.
Dann könnte der Artikel heute aber auch „kruzefix, die Litauer ham ja nix“ heißen können. Schon in Andeutung des heutigen Highlights, denn Litauen … außer Feldern und Wiesen und ein paar verlassenen Weilern war da nix – auf dem Weg zum Berg der Kreuze, den Berg der Kruzifixe.
Aber ich kann mich festgelegt: „Cross Road“, weil uns unser Weg zum quasi litauischen National-Heiligtum, dem Berg der Kreuze geführt hat.
Ein kleiner Hügel im nirgendwo. Im Mittelalter mag da mal eine Burg oder so gestanden haben. Nix übrig. Aber 1993 hat wohl der damalige Papst an dieser Stelle irgendwas wichtiges gesagt und den Ort abschließend kurzerhand heilig gesprochen. Seitdem scheint jeder, der den Ort besucht, sein kleines oder großes Kreuz mitzubringen (oder es vor Ort im Souvenir-Shop völlig überteuert zu kaufen) um es dann dort an passender Stelle auf dem Hügel stehen zu lassen. Mit passendem Wunsch oder Gebet versteht sich. Ob’s hilft? Müsste man die Gläubigen fragen.
Ein mystischer Ort auf jeden Fall: Zehntausende Kruzifixe, alte, neue, fünf Meter hohe, wenige Zentimeter kleine, viele aus Holz, manche aus Metall, ein paar auch aus Glas, viele kostbar und kunstvoll verziert oder ganz schlicht, eins aus einem Maßstab improvisiert. Bei vielen steht ein Wunsch oder ein Gebet dabei. Und einige wenige Botschaften können wir sogar entziffern. Erstaunlich, wie einfach und universell die Ängste und Nöte der Menschen sind, gläubig oder nicht. Warum respektieren wir einander nicht? Wir wollen alle bloß lieb gehabt werden und unsere Ruhe.
Naja. Das Thema ist so alt wie die Menschheit selbst.
Wir sind gegen Mittag weiter, bzw. zurück nach Lettland, wieder ans Meer. Knapp südlich von Liepaja haben wir den ersten und wahrscheinlich einzigen Platz im Baltikum gefunden, der ein wenig Trubel bietet. Obwohl, gegen Abend wird auch der Platz hier sehr ruhig. So mögen wir das.
Bloß das Mobile Internet taugt hier nix. Und WLAN gibt’s nur an der Rezeption. Kann auch mal gut tun.
Hier bleiben wir also erstmal, genießen noch Ruhe, viel Platz, das Meer, den nahezu letzten Strand und die Frische und in drei Tagen geht’s auch schon wieder richtig Fähre.
Mal schauen, was einem dann Headlines ereilen.